Prozesskostenrechnung – Gemeinkosten

Die Begriffe Prozesskostenrechnung und Prozesskostenmanagement sind oft synonym gebraucht. Allerdings bezeichnet die Prozesskostenrechnung im engeren Sinn das reine Bewerten von Prozessen und dem damit verbundenen Ausrechnen der Prozesskostensätze. Dagegen konzentriert sich das Prozesskostenmanagement auf die Steuerung und Beeinflussung der Prozesse auf Basis der Rechenergebnisse. Damit zielt es darauf auf, die Kosteneffizienz zu sichern und die unternehmerische Wettbewerbsfähigkeit im Hinblick auf die Erreichnung der Unternehmensziele zu unterstützen.

Entwicklung der Prozesskostenrechnung

Hintergrund der Entwicklung der Prozesskostenrechnung war die Kritik an der traditionellen Kostenrechnung bzgl. der Verrechnung von Gemeinkosten innerhalb der Kostenstellenrechnung. Dabei steht im Mittelpunkt, dass das Verursachungsprinzip bei der Verrechnung der Gemeinkosten in der Kostenträgerrechnung keine Verwendung finden kann. Denn Gemeinkosten entstehen genau dann, wenn das Verursachungsprinzip im Hinblick auf die Produktkalkulation versagt. Sollte dagegen das Verursachungsprinzip anwendbar sein, sprechen wir von Einzelkosten.

Mit dem Begriff der Gemeinkosten geht somit das Problem einher, dass diese Kosten nicht verursachungsgerecht einem (klassischen) Kostenträger zugerechnet werden können. Tatsächlich aber ist die Eigenschaft der fehlenden Verursachungsgerechtigkeit vom jeweiligen Kostenträger abhängig. Betrachten Sie dazu einmal die Personalkosten, die im Zusammenhang mit der Beschaffung von Material in der Beschaffungsabteilung entstehen. Die Bezahlung des Einkäufers und die damit verbundenen Personalkosten werden klassischerweise über die Materialgemeinkosten als Zuschlagssatz auf die Materialeinzelkosten (nach dem Tragfähigkeitsprinzip) verrechnet. Dabei handelt es sich definitiv um Gemeinkosten – aber nur in Bezug auf die Produkte als Kostenträger. Wenn Sie stattdessen die Unternehmensprozesse als Kostenträger wählen, können Sie die Personalkosten als Einzelkosten erfassen. Denn im Beispielfall verursachen die Beschaffungsprozesse die Kosten für den Einkäufer. Somit handelt es sich um Prozesseinzelkosten.

Im folgenden Video können Sie sich die wichtigen Verrechnungsprinzipien von Kosten noch einmal anschauen. Sie sind so wichtig, denn sie bilden die Grundlage für Einzelkosten und Gemeinkosten.

Hinzu kommt, dass durch die Automatisierung und Steigerung der Komplexität der Produkte der Anteil der Gemeinkosten in den Industriebetrieben in der Vergangenheit stetig gestiegen ist. Auch die sogenannte vierte industrielle Revolution (Industrie 4.0) hat zu dieser Entwicklung beigetragen. Tatsächlich hat der Anteil der Gemeinkosten an den Gesamtkosten längst in fast allen Industriebetrieben die 2/3-Grenze überschritten. (Quelle mit Link zum Angebot von Amazon: Langenbeck, Jochen: Kosten- und Leistungsrechnung, Herne, nwb, 2008, S. 192., Kosten- und Leistungsrechnung: Grundlagen. Vollkostenrechnung. Teilkostenrechnung. Plankostenrechnung. Prozesskostenrechnung. Zielkostenrechnung. Kosten-Controlling )

Einordnung der Prozesskostenrechnung

Prozesskostenrechnung und Prozessmanagement

Ebenso war die steigende Prozessorientierung der Unternehmen für die Entwicklung der Prozesskostenrechnung förderlich. Das Prozessmanagement der Unternehmen hat die Ablauforganisation der Betriebe in den Blickpunkt gerückt. In der Vergangenheit stand die klassische Gliederung der Unternehmen in Fachabteilungen im Vordergrund. Nunmehr wird viel bewusster wahrgenommen und untersucht, welche Prozesse es im Unternehmen überhaupt gibt. Da das Prozessmanagement letztlich auf die Steuerung und Beeinflussung von Prozessen abzielt, ist dazu auch eine kostenrechnerische Betrachtung der Prozesse sinnvoll. Folglich haben sich Prozessmanagement und Prozesskostenrechnung gegenseitig ergänzt.

Die Problematik der Gemeinkostenverrechnung in der traditionellen Vollkostenrechnung und auch bei der Grenzplankostenrechnung lässt sich an einfachen Beispielen aufzeigen. Betrachten Sie dazu die typischen Schlüsselgrößen, die in einer „normalen“ Kostenrechnung Verwendung finden.

(Literaturhinweis mit Link zum Angebot von Amazon: Kremin-Buch, Beate: Strategisches Kostenmanagement, Grundlagen und moderne Instrumente, 4. Auflage, Wiesbaden, Gabler, 2007, S. 34 f., Strategisches Kostenmanagement: Grundlagen und Moderne Instrumente Mit Fallstudien (German Edition) )

Typische Schlüsselgrößen

Im Materialbereich werden typischerweise die Materialeinzelkosten als Schlüssel für die Verrechnung der Materialgemeinkosten genutzt. Jedoch stellen im Falle der Materialbestellung (=Materialgemeinkosten) diese keinen geeigneten Schlüssel dar. Denn dies liegt daran, dass für die Bestellung nicht relevant ist, wieviel die bestellten Materialien kosten. Die Beschreibung des Prozesses der Materialbestellung im Unternehmen als Teil der Ablauforganisation und Bestandteil im Prozessmanagement zeigt dies deutlich. Auch das folgende einfache Beispiel veranschaulicht diese Problematik:

Beispiel zur Prozesskostenrechnung

In diesem Fall soll ein Beispiel zur Berechnung der Beschaffungsgemeinkosten herangezogen werden. Diese sind klassischerweise häufig in den Materialgemeinkosten versteckt. Dazu nehmen Sie die folgenden Daten an:

Beschaffung von 1 Stück eines Materials zum Preis von 100 Euro je Stück bei einem Materialgemeinkostenzuschlag von 10%.

Die Beschaffung von 1 Stück kostet demnach 100 Euro + 10 Euro = 110 Euro.

Die Beschaffung von 1.000 Stück kostet demnach 100.000 Euro + 10.000 Euro = 110.000 Euro, aber:

Es ist völlig unrealistisch, dass sich die Beschaffungskosten derart verändern, wenn sich die Bestellmenge erhöht. Im ersten Fall werden 10 Euro für die Materialbestellung verrechnet, im zweiten Fall sind es 10.000 Euro. Letztlich zeigen das Prozessmanagement oder die Ablauforganisation deutlich, dass die Prozesse selbst bei unterschiedlichen Bestellmengen (weitgehend) identisch ablaufen, also unabhängig vom tatsächlichen Beschaffungsvolumen sind.

(Literaturhinweis: Olfert, Klaus: Kostenrechnung, 15. Auflage, Ludwigshafen, Kiehl, 2008, S. 341.)

Prozessmanagement und Fertigungsgemeinkosten

Dieselbe Problematik lässt sich auch für die Verrechnung von indirekten Fertigungsgemeinkosten auf der Basis von Fertigungslöhnen oder Maschinenstunden aufzeigen. So sind für die Kosten der Arbeitsvorbereitung die Fertigungslöhne oder Maschinenstunden keine geeignete Bezugsgröße, da diese eher von der Komplexität der Produkte, von der Auflagengröße sowie davon abhängen, ob es sich um Standardprodukte bzw. exotische Varianten einer Produktart handelt. Allerdings lässt das Prozessmanagement nicht erwarten, dass sich der Prozess der Arbeitsvorbereitung verändert, wenn die Fertigungslöhne selbst um 50% höher sind als in einem Vergleichsfall.

(Literaturhinweis zur Problematik der Gemeinkostenverrechnung im Fertigungsbereich: Kremin-Buch, B: Strategisches Kostenmanagement, Grundlagen und moderne Instrumente, 4. Auflage, Ort: Wiesbaden, Gabler, 2007, S. 34., Link zu Amazon: Strategisches Kostenmanagement: Grundlagen und Moderne Instrumente Mit Fallstudien (German Edition) )

Des Weiteren gibt es noch andere Positionen innerhalb der Fertigungsgemeinkosten, die sich sicherlich nicht proportional zu gezahlten Fertigungslöhnen oder genutzten Maschinenstunden verhalten. Als Beispiel seien hier Kosten des Qualitätsmanagements genannt, die sich in Wirklichkeit mit der Komplexität und Häufigkeit der durchgeführten Qualitätsprozesse verändern.

Beispiel zu Vertriebsgemeinkosten in der Prozesskostenrechnung

Auch im Vertriebsbereich kann die Verrechnung von Vertriebsgemeinkosten als prozentualer Zuschlag auf die Herstellkosten problematisch sein. Dies zeigt das folgende Beispiel zum Prozessmanagement im Vertrieb :

Die Herstellkosten der Abrechnungsperiode belaufen sich auf 1.000.000 Euro. Zusätzlich betragen die Vertriebsgemeinkosten für den gleichen Zeitraum 200.000 Euro. Damit entsprechen sie einem Zuschlag von 20% auf die Herstellkosten. Ergänzend betragen die Herstellkosten je 1 Einheit des Produktes 100 Euro pro Stück.

Verrechnete Gemeinkosten bei Anwendung des Kalkulationszuschlags
 Bei Verkauf von
1 Einheit
Bei Verkauf von
100 Einheiten
Herstellkosten
20 % Vertriebsgemeinkosten
100 Euro
20 Euro
10.000 Euro
2.000 Euro

Sicherlich kann davon ausgegangen werden, dass die Vertriebsabteilung bei einem Verkauf von 100 Einheiten nicht die hundertfachen Kosten verursacht im Vergleich zum Verkauf einer Einheit. Eine solche Kostenexplosion lässt sich durch die Ablauforganisation und das Prozessmanagement widerlegen. Letztlich sind die Vertriebsgemeinkosten über die jeweiligen Vertriebsprozesse steuerbar, nicht aber über die Anzahl der Verkaufseinheiten eines Produktes.

(Literaturhinweis zur Problematik der Gemeinkostenverrechnung im Vertriebsbereich: Langenbeck, Jochen: Kosten- und Leistungsrechnung, Herne, nwb, 2008, S. 193 f.)

Im Gegensatz zu dieser Vorgehensweise klassischer Kostenrechnungssysteme versucht die Prozesskostenrechnung eine leistungsabhängige Verrechnung von Prozesskosten vorzunehmen. Dazu ermittelt und bewertet sie im Beispiel der Beschaffungsfunktion die einzelnen Aktivitäten der Auftragsbearbeitung und verrechnet diese auf die Aufträge:

Betrachten Sie dazu folgendes Rechenbeispiel: Es gelten die Ausgangsdaten aus dem vorherigen Beispiel und damit Vertriebsgemeinkosten von insgesamt 200.000 Euro. Zusätzlich sei bekannt, dass die Vertriebsabteilung in derselben Periode 10.000 Vertriebsabschlüsse bearbeitet.

Dann entfallen auf einen Vertriebsabschluss (unabhängig von der konkerten Vertriebsmenge) durchschnittlich Kosten in Höhe von Prozesskosten/Prozessmenge = 200.000 Euro / 10.000 Vertriebsabschlüsse = 20 Euro je Vertriebsabschluss.

Verrechnete Gemeinkosten bei Anwendung des Prozesskostensatzes
 Bei Verkauf von
1 Einheit
Bei Verkauf von
100 Einheiten
Herstellkosten
Vertriebsgemeinkosten
100 Euro
20 Euro
10.000 Euro
20 Euro

Das Beispiel zeigt also: Bei der Prozesskostenrechnung hängt die Höhe verrechneter Vertriebsgemeinkosten nicht von der Verkaufsmenge ab. Auch die Höhe der Herstellungskosten spielt keine Rolle. Das ist sicherlich sinnvoll. Denn die Herstellungskosten setzen sich aus Material- und Fertigungskosten zusammen. Und welche Rolle sollen die für die Vertriebskosten spielen? Vielmehr wird im Rahmen einer Prozesskostenrechnung zur Verrechnung der Vertriebskosten herangezogen, welche (Vertriebs-)Prozesse durchzuführen sind und wie häufig diese anfallen.

(Literaturhinweis: Langenbeck, Jochen: Kosten- und Leistungsrechnung, Ort: Herne, nwb, 2008, S. 193 f., Buchlink zu Amazon: Kosten- und Leistungsrechnung: Grundlagen. Vollkostenrechnung. Teilkostenrechnung. Plankostenrechnung. Prozesskostenrechnung. Zielkostenrechnung. Kosten-Controlling )

Weitere Informationen zur Idee des Prozesskostenmanagements auf Basis der Ergebnisse einer Prozesskostenrechnung erhalten Sie auch im hier verlinkten Video zur Prozesskostenrechnung.

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